Teil 2: Nacht für Nacht wird Postexpeditor Reuß zweimal aus dem Bett geholt - Teil zwei der Geschichte der Kleinheubacher Poststellen: 1866 bis 1920

Im ehemaligen Anwesen Brand befand sich von 1866 bis 1877 die Postexpedition von Kleinheubach. Das heutige Gebäude in der Poststraße 1 erwarb der Postexpeditor Reuß 1877 und bis 1916 war hier die Poststelle untergebracht.

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Anwesen Brand (links), heutiges Gebäude (rechts)

Der erste Teil unserer Serie über die 153jährige wechselvolle Geschichte des Postwesens in Kleinheubach hatte seinen Abschluss im „Fuchshäuschen“ gefunden. Doch schon 1866 musste Posthalter Reuß vom „Fuchshäuschen“ in ein gegenüber liegendes Gebäude erneut umziehen und den Expeditionsraum in das frühere Haus von Textilkaufmann Wilhelm Brand verlegen.

Grund dafür war, das der Raum im „Fuchshäuschen“ nicht durch Fensterläden gegen äußere Einflüsse geschützt werden konnte und Abhilfe nicht möglich war. Nachdem am 15. Juli 1867 gar eine Telegraphenstation eingerichtet wurde, verlegte Reuß nach 11 Jahre die Post vom Anwesen Brand am 1. November 1877 in sein eigenes Haus in der Bahnstraße, dem heutigen Anwesen Waliszek in der Poststraße 1. Eine besondere Nachricht für den Posthalter war im Jahre 1870 als die Gefangenschaft Napoleons durch die Kleinheubacher Telegraphenstation gelaufen war. Reuß erlebte am 15. Oktober 1876 im gesamten Maintal die Ablösung der Pferdepost durch die Eisenbahn und den weiteren Aufschwung der Königlich Bayerischen Post. War doch vor dieser Zeit die Postexpedition Kleinheubach von Eilwagen der Turn-und Taxischen Post oder Postomnibusse der Bayerischen Post auf der Strecke Miltenberg-Obernburg angefahren worden. Wegen der ungünstigen Verbindungsfahrten wurde der Postexpediteur Nacht für Nacht um ein Uhr und um drei Uhr aus dem Schlaf geholt, um die eingehende und abgehende Post zu erledigen. Seine Ankunft kündigte der Postillion bereits vor den Toren des Ortes durch Signale an und an besonderen Tagen ertönten auch die altbekannten Postillionslieder.

Zu jener Zeit wurde der Innendienst hauptsächlich vom Postexpedienten und dessen Familienangehörigen wahrgenommen. Aushilfen wurden nur zu besonderen Anlässen, wie bei Geburten von Prinzen und Prinzessinnen des fürstlichen Hauses Löwenstein bewilligt. Nicht ganz einverstanden war Reuß mit der Einstellung des Privatgehilfen Josef Zirkelbach am 24. Oktober 1892 , da er eigentlich seinen Sohn Philipp, der bereits Postadjunkter gewesen war, lieber eingestellt haben wollte. Doch dieser muss wohl aus unbekannten Gründen disziplinarisch in Aschaffenburg bestraft worden sein, da ihm das Oberpostamt Würzburg mit Schreiben vom 6. September 1893 gar das betreten zu den Diensträumen in Kleinheubach untersagte. Da die gestiegenen Verkehrsverhältnisse jedoch die Beschäftigung einer Hilfskraft zur Unterstützung des Postexpedienten erforderte, beantragte Reuß erneut am 22. Mai 1894 seine 16jährige Tochter Maria gegen ein Gehilfenversum von 360 Mark einzustellen, was auch genehmigt wurde. Doch muss es Reuß wegen seines Alters oder übermäßiger Beanspruchung immer möglich gewesen sein, die Dienstgeschäfte ordnungsgemäß zu führen. Denn bei Dienstkontrollen wurde er häufig mit Geldbußen zwischen 25 Pfennig und drei Mark belegt. Vergeblich kämpfte er auch stets um die Zuweisung eines ständigen Postgehilfen, zumal die Tochter Maria am 1. April 1904 wieder ausgeschieden war. Eine Einstellung wurde mit dem Hinweis abgelehnt, das dies für Kleinheubach nicht vertretbar sei und ohnedies sollte die Ehefrau einspringen wenn Hilfe nötig war. Sein Vertreter in Urlaubs-und Krankheitsfällen war der Privatgehilfe Max Krug. Der Zustelldienst im Ort und den umliegenden Landgemeinden wurde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts von den Postboten Jaxtheimer und Nast wahrgenommen, später kam auch noch der Postbote Bissert dazu.. Zeitraubende und beschwerliche Landgänge wie nach Boxbrunn, Gönz und Wiesenthal, die bis zum 31. August 1897 noch zum Zustellbezirk Kleinheubach gehörten, mussten bewältigt werden. Auch hatten die beiden Postboten täglich drei Bahnhofsgänge, drei Ortsbriefzustellungen, je zwei Paketzustellungen und Briefkastenleerungen, sowie zwei Sonderzustellungen an die Preßtuchfabrik Klein und Quenzer zu erledigen. Ab dem Jahre 1906 war ein Peter Müller Aushilfsbote und 1909 kam der Schreiner Anton Rebel dazu. Personelle Probleme hatte es bei den Landgängen mit dem krankheitsbedingten Ausscheiden des Postboten Nast gegeben, doch konnte dies mit Aushilfspersonal überbrückt werden.

Bis zu seiner Pensionierung 1906 im Alter von 71 Jahren war Reuß nicht nur ein angesehener Mitbürger sondern auch Gründungs-und Ehrenmitglied der örtlichen „Sängervereinigung“. Im Alter von 92 Jahren verstarb Reuß am 23. Mai 1927 und wurde mit allen Ehren zu Grabe getragen. Zum Ende der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts wurde die Kleinheubacher Postexpedition in ein sogenanntes Postamt III umgewandelt. Als Nachfolger von Reuß wurde der Postexpeditor II. Klasse H. Pfanzer aus Stadtprozelten, der bis zu seinem krankheitsbedingten Ausscheiden im Jahre 1919 hier tätig war und dann Kleinheubach verlassen hatte. Nur für kurze Zeit bis zum 31. Januar 1920 folgte der Postexpeditor Rauscher.

Manfred Seemann